Rahmenabkommen als "Eintrittspreis" für den EU-Binnenmarkt? Ein kritischer Rückblick auf die Argumente zum "InstA"

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Blog Daniel Lampart

Nachdem die Verhandlungen über das Rahmenabkommen abgebrochen wurden, lohnt es sich auch, über die Argumente und die Beweggründe nachzudenken, die zu diesen Verhandlungen geführt haben. Auf Schweizer Seite hat ein Teil der Akteure damals das Rahmenabkommen angeschoben, um den Bilateralen Weg zu zementieren und das EU-Beitrittsgesuch definitiv verschwinden zu lassen.

Die EU-Kommission bzw. der EU-Botschafter argumentieren vor allem mit dem Binnenmarkt. Die für die EU-Mitgliedstaaten geltenden Regeln müssen auch für die Schweiz gelten, da diese ebenfalls am Binnenmarkt teilnimmt. Doch diese Argumentation ist verkürzt. Denn vom EU-Binnenmarkt «profitieren» alle, die in der WTO sind. Denn die EU ist für die Handelspolitik zuständig, so dass die EU in der WTO-Logik als ein Wirtschaftsraum gilt. Somit müssen beispielsweise Drittstaaten ihre Produkte nur in einem EU-Land zum Verkauf zulassen, um sie danach in alle EU-Länder exportieren zu können.

Die Schweiz hat mit dem Abkommen über technische Handelshemmnisse (MRA) eine Lösung, die etwas darüber hinaus geht. EU und Schweiz können sich darauf einigen, die Produktezulassungen gegenseitig als gleichwertig anzuerkennen. Dann reicht die Zulassung in der Schweiz, um das Produkt in der EU verkaufen zu können. Das macht für die Exporteure alles etwas einfacher.

Allerdings sollten die wirtschaftlichen Auswirkungen nicht überschätzt werden. Das Seco hat im Jahr 2015 zwei Studien in Auftrag gegeben, um die wirtschaftlichen Auswirkungen des erleichterten Marktzugangs zu schätzen. Die Ergebnisse sind nicht berauschend. Die etwas höheren Zulassungshürden bei einem kompletten Wegfall des Abkommens über technische Handelshemmnisse, würde die Exportprodukte um 0.5 bis 1 Prozent verteuern. Das ist angesichts der Wechselkurs- und Konjunkturschwankungen ein nachrangiges Problem. Die Abkommen, die quantitativ die stärksten Auswirkungen haben, sind die Personenfreizügigkeit und das Abkommen über technische Handelshemmnisse. Wobei hier die «Importeffekte» besonders stark zu Buche schlagen. D.h. die Schweiz könnte die Regeln auch unilateral einführen und viele positive Effekte auch ohne Bilaterale realisieren.

Man könnte jetzt irgendwelche Rechnungen anzustellen versuchen, wo die Gewinne aus dem Binnenmarktzugang den Verlusten aus einer teilweisen Aufgabe des Lohnschutzes gegenüber gestellt würden. Wie das Avenirsuisse zu machen versucht hat. Angesichts der moderat positiven Wirkungen des Marktzugangs wären die Verluste durch die Teil-Aufgabe des Lohnschutzes wahrscheinlich grösser (s. hier zu den Risiken des Rahmenabkommens für den Lohnschutz). Doch das ist der falsche Zugang zur Fragestellung. Denn wer die EU auf den Binnenmarkt reduzieren will, hat schon verloren. So wie eine Reduktion der Schweiz auf den Binnenmarkt Unsinn wäre. Die Verlautbarungen und Drohkulissen des EU-Botschafters nach dem Rahmenabkommen weisen nicht vorwärts. Denn ein Staatenbund, eine Kooperation oder eine «Union» wie die EU muss immer mehr sein als ein Binnenmarkt. Sie muss mit sozialen und kulturellen Fortschritten verbunden sein. Das geht nicht ohne fortschrittliche soziale Rechte, gemeinsame Projekte und demokratische Partizipation. Damit alle von den Kooperationen oder der Union profitieren. Und damit Neues entsteht, das die Menschheit weiterbringt.

Im Jahr 2011 hat der SGB im Europäischen Gewerkschaftsbund eine EU-Bürgerinitiative für "Gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" anzustossen versucht. Das Projekt scheiterte an diversen Widerständen. Ironischerweise argumentieren heute die EU-Vertreter mit diesem Slogan für die Unterstellung des Schweizer Lohnschutzes unter EU-Recht. Obwohl seit 2011 in den EU-Rechtsgrundlagen nicht allzu viel passiert ist. 

Auf den ersten Blick vielleicht etwas weit weg, aber nicht uninteressant ist zum Schluss der Verweis auf die Entstehung der Bundesverfassung in der Schweiz. Wie Rolf Hollenstein in seinem Buch «Stunde null» schreibt, gelingt der Durchbruch bei der Bundesverfassung im Jahr 1848 beim Service Public bzw. bei der Infrastruktur. D.h. bei den Strassen, Eisenbahnen, Flusskorrektionen u.a. sowie der Post. Die «institutionellen Fragen» (Regierungs- und Parlamentssystem) führen hingegen zunächst zu Streit. Sie werden erst am Schluss beantwortet.

Responsable à l'USS

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

031 377 01 16

daniel.lampart(at)sgb.ch
Daniel Lampart
Top