Personenfreizügigkeit ist nicht gleich Personenfreizügigkeit: Warum Flankierende Massnahmen bei den liberalisierten grenzüberschreitenden Dienstleistungen besonders wichtig sind

  • Flankierende Massnahmen und Personenfreizügigkeit
Blog Daniel Lampart

Personenfreizügigkeit ist nicht gleich Personenfreizügigkeit. Denn das Abkommen mit der EU besteht eigentlich aus zwei Teilen. Neben der klassischen Personenfreizügigkeit führte es auch noch den Marktzugang für ausländische Firmen in der Schweiz ein. Die so genannte «kleine Dienstleistungsfreiheit» erlaubt es Firmen aus der EU, bis 90 Tage mit ihren Arbeitnehmenden in der Schweiz Dienstleistungen anzubieten. Die Firmen aus der EU sind insbesondere im Bau, in der Montage, in der Reinigung, in der IT usw. tätig. Sie «entsenden» ihr Personal aus Deutschland, Österreich, Polen usw. in die Schweiz. Deshalb spricht man auch von «Entsendungen».

Aus einer Arbeitsmarktsicht unterscheiden sich die Personenfreizügigkeit und die Entsendung stark. Bei der Personenfreizügigkeit werden die EU-Staatsangehörigen von Schweizer Firmen angestellt. Sie arbeiten in der gleichen Firma wie ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz. Sie sind im selben Lohnsystem und werden zu Schweizer Bedingungen angestellt.

Ganz anders bei den Entsendungen. Hier kommen die Angestellten mit Arbeitsverträgen und Löhnen aus Deutschland oder Polen mit ihren Firmen in die Schweiz – also aus einem ganz anderen Arbeitsmarkt mit tieferen Löhnen. Dementsprechend grösser ist das Dumpingpotenzial. Die Flankierenden Massnahmen dienen dazu, diese Dumpinggefahr abzuwehren. Ausländische Firmen sollen in der Schweiz tätig werden können, müssen aber Schweizer Löhne zahlen. In der Praxis gibt es natürlich eine Reihe von Umsetzungsfragen. Was ist ein Schweizer Lohn? Wie kann man das kontrollieren? Und wie kann man eine Firma dazu bringen, tatsächlich Schweizer Löhne zu zahlen? All diese Fragen und Risiken wurden ja rund um das Rahmenabkommen intensiv diskutiert.

Eine ganz aktuelle Studie wirft nun aber noch ein neues Licht auf die Debatte. Man kann sich nämlich fragen, ob die Arbeitnehmenden, welche über die klassische Freizügigkeit oder über die Entsendung in die Schweiz kommen, eher eine Ergänzung zu den Schweizer Arbeitnehmenden sind oder eher eine «Konkurrenz». Also eher komplementär oder eher substitutiv. Die bisherigen Studien für die Schweiz kamen zum Schluss, dass die Einwanderung über das Freizügigkeitsabkommen vor allem komplementär war. Das scheint plausibel. Aber die Auswirkungen der Entsendungen wurden bisher nicht genau angeschaut. Die neue Studie nimmt aber genau dieses Thema in den Fokus – für Europa wohl erstmals in dieser Form. Das Ergebnis ist bemerkenswert. Entsendungen sind eher substitutiv als komplementär. In handwerklichen Berufen («blue collar») Frankreichs oder Belgiens führt die Entsendung zu tieferen Löhnen und einer geringeren Beschäftigung von Arbeitnehmenden aus dem Inland. Das sind allerdings zwei Länder, die bei weitem nicht so gute Flankierende Massnahmen haben wie die Schweiz. In der Schweiz werden viel mehr Entsendefirmen kontrolliert. Es gibt Gesamtarbeitsverträge mit Mindestlöhnen. Und die Löhne werden auch durchgesetzt.

Die Studie weist darauf hin, dass die Entsendungen eine andere Kategorie von Arbeitsmigration sind als die klassische Personenfreizügigkeit. Und dass der Schutzbedarf vor Lohndruck somit erhöht ist.

Responsable à l'USS

Daniel Lampart

Sekretariatsleiter und Chefökonom

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